Das viel zitierte Ockham-Rasiermesser-Prinzip besagt bekanntlich, dass die Theorie mit den wenigsten Variablen auch immer die wahrscheinlichste ist. Ergo kann man leicht extrapolieren, dass das Einfache auch immer dem Komplexen vorzuziehen ist. Leider haben deutsche Politiker offensichtlich noch nie etwas von Wilhelm von Ockham und seinem bereits im Jahr 1341 postulierten Rasiermesser-Prinzip gehört. Ansonsten würde sich das deutsche Steuergesetzbuch sicherlich nicht genauso beschwingt lesen wie der sagenumwobene Ulysses von James Joyce. Allerdings argumentieren die rhetorisch perfekt geschulten Politiker immer wieder gerne, dass wir nicht das komplizierteste Steuersystem der Welt haben, sondern das gerechteste. Nun kommt allerdings wieder das heuristische Rasiermesser-Prinzip von Ockham zum Einsatz. Im komplexen Versuch, für jeden alles bis ins letzte Detail gerechter zu machen, haben sich unzählige Schlupflöcher eingeschlichen. Allerdings kommen nur wirklich exzellent beratene UHNWIs in den Genuss, die unzähligen fabelhaften Hintertürchen effizient zu nutzen. Nur ihnen gelingt es durch kluge Intellectual-Property-Akrobatik Milliardengewinne steueroptimiert ins Ausland zu vershiften. Nur sie schaffen, es durch smarte Share-Deals Millionen an Steuern zu sparen und nur ihnen ist es jahrzehntelang gelungen, durch raffiniertes Cum-Ex- und Cum-Cum-Financial-Engineering Milliarden an Steuern zurückerstattet zu bekommen, die sie vorher überhaupt nicht bezahlt haben. Die meisten hart arbeitenden Wirte haben hingegen von diesen grandiosen Möglichkeiten noch nicht einmal gehört. Sie haben dafür allerdings das Privileg, nicht nur unter der weltweit höchsten Abgaben- und Steuerlast zu leiden, sondern auch noch unter dem komplexesten und damit natürlich auch wieder kostspieligsten Steuersystem der Welt. Nun stehen die schwer gebeutelten Wirte auch noch vor einer Ära, in der es sicherlich dramatisch weniger lukrative Messen, Events und Geschäftsreisen geben wird. Damit wird es nun umso wichtiger, dass zumindest die temporäre Senkung der MwSt auf Restaurantspeisen endgültig entfristet wird. Nur so hätte die ethisch arbeitende Individualgastronomie überhaupt eine Chance, in der Post-Corona-Zeit würdevoll zu überleben. Nach unzähligen Petitionen, Artikeln und Newslettern scheint unsere Forderung allerdings langsam Gehör zu finden. Selbst die völlig antagonistischen Alphatiere Olaf Scholz und Markus Söder sind nun endlich zur Überzeugung gelangt, dass eine im europäischen Kontext faire Umsatzbesteuerung für Gastromiebetriebe durchaus eine sinnvolle Sache wäre. Nun müssen den hehren Worten allerdings noch Taten folgen.