Wir haben schon mehrfach darüber berichtet, dass die toxische Verquickung aus Mindestlohnerhöhung und Mehrwertsteuersenkung die handwerklich arbeitende Speisegastronomie als die klassische Mindestlohnbranche nicht wie politisch insinuiert entlastet, sondern belastet.
Trotzdem hat Lars Klingbeil, der durchsetzungstarke und eloquente Finanzminister, öffentlichkeitswirksam und maximal populistisch verkündet, dass er von den deutschen Wirten erwartet, dass sie die anstehende Mehrwertsteuersenkung auf Speisen selbstverständlich durch entsprechende Preissenkungen an ihre Gäste weitergeben werden. Darüber hinaus hat er noch unheilvoll gedroht, die Sache ganz genau im Auge zu behalten.
Prompt griffen zahlreiche Boulevardmedien das Thema auf und spekulierten wild darüber, um wie viel Prozent das Schnitzel durch das groß angekündigte „Geschenk“ der Regierung wohl billiger werden wird.
Abgesehen von der Tatsache, dass eine im europäischen Kontext faire Besteuerung der Gastronomie natürlich kein Geschenk der Regierung ist, sondern lediglich eine im europäischen Kontext faire Besteuerung, werden Schnitzel garantiert nicht billiger.
Wir haben bereits ausführlich dargelegt, dass wie bei einer degressiven gaußschen Glockenkurve die Bereitschaft der Gäste, für Restaurantbesuche Geld auszugeben, überproportional zum steigenden Preis abnimmt. Aus diesem Grund kalkulieren wir schon lange nicht mehr kaufmännisch seriös, sondern verlangen nur noch gefühlte Schmerzpreise. Und genau wie wir haben fast alle Wirte, die weiterhin auf hochverarbeitete Fertigprodukte und Fleisch aus Qualmastproduktion verzichten, die Preissetzungsmacht schon lange verloren. Wirte können den exogenen Schock durch die toxische Verquickung deshalb unmöglich durch adäquate Preiserhöhungen kompensieren.
Unsere Behauptung, dass die toxische Verquickung aus Mindestlohnerhöhung und Mehrwertsteuersenkung die handwerklich seriös arbeitende Speisegastronomie nicht wie politisch insinuiert entlastet, sondern belastet, haben wir übrigens nicht erfühlt, sondern heuristisch extrapoliert.
Da die anstehende Mehrwertsteuersenkung ausschließlich für Speisen gilt, sind wir bei unseren Überlegungen von einem branchenüblichen Speise-Getränke-Verhältnis von sechzig zu vierzig ausgegangen. Gleichzeitig beläuft sich die Lohnkostenquote in der gehobenen Gastronomie mittlerweile auf 40 bis 45 Prozent des Umsatzes. Da rund 67 Prozent der Beschäftigten in der Gastronomie tatsächlich zum Mindestlohn arbeiten, wirkt sich die Anhebung von 12,82 auf 14,60 Euro erst einmal nur auf diesen Anteil aus. Das verursacht Mehrkosten von im Schnitt 3,96 Euro pro 100 Euro Umsatz.
Der finanzielle Vorteil durch die Mehrwertsteuersenkung berechnet sich dagegen wie folgt. Bei 100 Euro Bruttoumsatz entfallen im Schnitt 60 Euro auf Speisen und 40 Euro auf Getränke. Damit steigt der Nettobetrag aus den 60 Euro Speisen von 50,42 Euro bei 19 Prozent Umsatzsteuer auf 56,07 Euro bei 7 Prozent Umsatzsteuer. Die Entlastung beträgt also 5,65 Euro.
Kontextualisiert man nun beide Zahlen miteinander, bleibt auf dem Papier lediglich eine rechnerische Entlastung von rund 1,69 Euro pro 100 Euro Umsatz. Doch nun kommen die unvermeidbaren Folgeeffekte ins Spiel. Da die Gastronomie als klassische Mindestlohnbranche weit überproportional auch auf andere Mindestlohnbranchen angewiesen ist, führt die Erhöhung des Mindestlohns zwangsläufig zu steigenden Kosten für Reinigungsdienste, Wäschereien, Leiharbeitsfirmen, Wachdienste, Gärtner, Entsorger und Handwerker. Gleichzeitig explodieren auch noch die Lebensmittelpreise aufgrund höherer Erzeuger- und Transportkosten.
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, kommen jetzt auch noch zeitverzögerte Sekundäreffekte hinzu, wie beispielsweise der oft zitierte Spillover-Effekt oder die Tatsache, dass praktisch alle Wirte Mietverträge haben, die über eine Wertsicherungsklausel an den Verbraucherpreisindex gekoppelt sind. Also werden durch die unausweichlich steigenden Preise auch die Mieten mittelfristig massiv steigen.
Das alles führt zwangsläufig dazu, dass die toxische Verquickung von Mindestlohnanstieg und Mehrwertsteuersenkung am Ende die handwerklich arbeitende Speisegastronomie nicht wie politisch insinuiert entlastet, sondern belastet. Komplett absurd ist zudem die Tatsache, dass die Mindestlohnempfänger, die ihren Job nicht durch den bevorstehenden Gastrogeddon verlieren, praktisch nichts von der Erhöhung haben werden, weil der Staat sich sofort wieder einen Löwenanteil über Steuern und Abgaben zurückholt und der verbleibende finanzielle Zugewinn durch die zwangsläufig explodierenden Lebenshaltungskosten aufgefressen wird.
An dieser Stelle sei noch gesagt, dass Mindestlohnempfänger in der Gastronomie finanziell meist deutlich besser gestellt sind als Mindestlohnempfänger in anderen Mindestlohnbranchen, da sie im Gegensatz zu Mindestlohnempfängern im Einzelhandel oder in der Gebäudereinigung zusätzlich steuerfreie Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge erhalten, die ihr Nettoeinkommen dramatisch steigern. Auch möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass wir und die meisten anderen Wirte überhaupt nichts gegen einen fairen Mindestlohn und hohe Gehälter unserer Mitarbeiter einzuwenden haben. Die ethisch arbeitende Individualgastronomie ist meistens klein und maximal mittelständisch. Unsere Mitarbeiter sind dementsprechend auch unsere Freunde und Kollegen. Wir stehen täglich gemeinsam mit ihnen an der Front und zahlen deshalb sogar sehr gerne gute Gehälter. Das Problem ist allerdings, dass man diese Löhne auch erwirtschaften können muss. Keine leichte Sache, wenn die Personalkostenquote schon bei 40 Plus liegt und der Wareneinsatz zusätzlich noch über 30 Prozent. In diesem Kontext ist es vielleicht noch interessant zu wissen, dass die Lohnkostenquote der gesamten Mook Group im vergangenen Monat bei geradezu ruinösen 50 Prozent lag.
Interessierte Leser, die noch nicht wissen, warum wir bei den eben genannten Mindestlohndienstleistern auch Wachdienste aufgeführt haben, sollten nach der Lektüre dieses Newsletters noch diesen Artikel lesen.
