Als wir vor 28 Jahren unserer geliebten Heimatstadt Frankfurt mit dem M-Steakhouse das erste echte Top-Notch-Steakhouse nach US-amerikanischem Vorbild in Europa geschenkt haben, war die Welt noch eine völlig andere.
Man duftete noch dezent nach Kouros Eau d’Été, war stolz auf seine neue Nokia-Banane und diskutierte mit Freunden nicht über geplante Neidsteuern, übergriffige Chat-Kontrollen, Bürokratie oder den Brain Drain, sondern über Benjamin von Stuckrad-Barres Debütroman Soloalbum, die unglaublichen Bullet-Time-Szenen im neuen Matrix-Film oder die Sensation-Ausstellung der Saatchi Collection, in der Damien Hirst erstmals einem breiten Publikum seinen legendären, in Formaldehyd eingelegten Hai präsentierte.
Unsere Gäste waren damals vor allem gut gelaunte Investmentbanker, Anwälte und Wirtschaftsprüfer. Man trug im M-Steakhouse noch sehr gerne Nadelstreifenanzüge von Alan Flusser, blaue Winchester-Hemden mit weißen Kontrastkragen von Turnbull & Asser, Seidenkrawatten von Charvet, Manschettenknöpfe von Deakin and Francis und statt eines profanen Gürtels lieber Hosenträger von Albert Thurston.
Nach dem Essen trank man für gewöhnlich noch ein oder zwei Ziegler Wildkirsche No.1 und bediente sich dazu sogar noch gerne aus unserem Humidor mit einer Cohiba-Zigarre. Man war einfach entspannt, fröhlich und die Zukunft schien eine goldene Verheißung. Corporate Humility, Glutenunverträglichkeit, Gendersprache, Values-Based Governance und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz waren hingegen überhaupt noch kein Thema.
Im Kontext dieser hedonistischen Zeit kam uns die Idee, unseren besten und spendierfreudigsten Gästen ein Messingschild mit eingraviertem Namen zu widmen, es auf einem kleinen Holzkeil zu montieren, in einem Setzkasten am Eingang prominent und für jeden gut sichtbar zu präsentieren und es bei Bedarf als Reservierungsschild auf dem Lieblingstisch des Gastes zu platzieren.
Die Idee schlug ein wie eine Bombe. Plötzlich wollte jeder Frankfurter Mover & Shaker unbedingt ein eigenes, personalisiertes Namensschild haben. Doch je größer die Nachfrage wurde, desto seltener vergaben wir die begehrten Messingschilder. Das führte in Frankfurt zu einer regelrechten Hysterie, in deren Folge selbst gestandene Geschäftsleute uns verzweifelt anflehten, endlich ein Schild von uns verliehen zu bekommen.
Viele Gäste, die bereits ein Schild hatten, neckten andere mit der schelmischen Frage, warum sie denn noch kein Schild hätten. Die wiederum revanchierten sich häufig, indem sie die Messingschilder ihrer Rivalen einfach aus dem Setzkasten stibitzten.
Auf die Frage, was man tun müsse, um ein Schild verliehen zu bekommen, antworteten wir stets mit einem amüsierten Lächeln. Man müsse einfach sehr häufig kommen und dabei immer eine respektvolle Rechnung produzieren. Dann würden wir schon auf den Gast aufmerksam werden und irgendwann in ferner Zukunft darüber nachdenken, ihn vielleicht in den illustren Kreis der Schildträger aufzunehmen.
Das führte nicht nur dazu, dass viele Gäste besonders respektvoll konsumierten, sondern auch dazu, dass die Geschichte in einer Zeit, in der es noch überhaupt keine elektronischen Social-Media-Kanäle gab, in der ganzen Stadt viral ging und so den Hype um das M-Steakhouse noch weiter anheizte.
Das bizarre Phänomen, dass Dinge, die sehr selten oder nur extrem schwer zu bekommen sind, besonders begehrlich werden, nennt man in der Marketing- und Entscheidungspsychologie den Scarcity-Effekt. Obwohl wir seinerzeit noch nie von dem vom US-amerikanischen Psychologen Robert B. Cialdini geprägten Begriff gehört hatten, haben wir offenbar schon damals ganz intuitiv erkannt, welch mächtiges PR-Instrument Exklusivität sein kann.
Wir sind uns sogar bis heute sicher, dass die Messingschilder ein zwar kleiner, aber dennoch wichtiger Mosaikstein für den unglaublich erfolgreichen Start des M-Steakhouse waren und maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich unser erstes Restaurant in kürzester Zeit zu einer wahren Institution entwickelt hat, die nun seit 28 Jahren allen Krisen und staatlichen Attacken erfolgreich getrotzt hat.
