Vor über einer Dekade haben wir mit dem Ivory Club ein für Deutschland völlig neues kulinarisches Genre installiert. Erstaunlicherweise bespielen wir das Thema Indian-Fine-Dining trotz unseres überwältigenden Erfolgs noch immer praktisch im Alleingang. In anderen Ländern hingegen eskaliert der Hype um die faszinierende Aromen- und Vitalküche mittlerweile völlig. Epizentrum dieser furiosen Entwicklung ist nach wie vor London. Erst kürzlich berichteten wir in diesem Kontext ausführlich über das neu eröffnete Jamavar im exklusiven Mayfair. Nun haben nach nur wenigen Monaten schon wieder zwei weitere hochspannende Top-Notch-Inder ihre Pforten geöffnet. Zum einen die wundervolle Upscale-Tiffin-Formel Bombay Bustle, zum anderen das kulinarisch hochambitionierte Multi-Unit-Brand Indian Accent. Speziell das grandiose Bombay Bustle konnte uns durch eine ungewöhnliche Speisekarte und ein geradezu geniales Design-Konzept begeistern. Folgt uns nun in die faszinierende Welt des Bombay Bustle…
Die liebevoll gestaltete Inneneinrichtung des Bombay Bustle erinnert aufmerksame Kino-Enthusiasten natürlich sofort an das erstaunlich kinematografische Œuvre von Wes Anderson. Die komplette Szenerie zitiert mit ihrer pastelligen Farbenwelt geradezu plakativ cineastische Meisterwerke wie Moonrise Kingdom, Grand Budapest Hotel, The Life Aquatic with Steve Zissou, The Royal Tenenbaums oder Darjeeling Limited – dem wunderbaren Rail-Movie, der die drei ungleichen Brüder Francis, Peter und Jack Whitman auf ihrer mystischen Reise durch unser geliebtes Indien begleitet.
Speziell der großartige Rail-Movie Darjeeling Limited scheint die Innenarchitekten des Bombay Bustle inspiriert zu haben. Die gesamte Kulisse ist optisch eine perfekt geglückte Reminiszenz an den namensstiftenden Zug aus Darjeeling Limited. Dementsprechend finden sich neben dem eigentlichen „Speisewagen“ auch noch eine „Bord-Bar“ und diverse liebevoll gestaltete „Zugabteile“ im Restaurant. Verantwortlich für dieses geniale architektonische Bravourstück sind die in London ansässigen Fable Studios. Das 2011 von Tom Strother, Steven Saunders and Simon Gallagher gegründete Architekturbüro durfte in seiner kometenhaften Firmengeschichte schon diverse erstaunliche Hospitality-Venues realisieren. Zu ihren prominentesten Werken gehört dabei sicherlich das grandiose Jamavar in Mayfair, das Dinner by Heston Blumenthal in Knightsbridge und das Restaurant Gordon Ramsey in Chelsea. Aber das wissen aufmerksame Mook Magazin-Leser ja alles schon längst.
Das Bombay Bustle gehört genau wie das fabelhafte Jamavar zu der indischen 5-Star-Hotelkette Leela Palace & Resort. Wer mehr über die exklusive Hotelkette und das Bombay Bustle-Schwesternrestaurant erfahren möchte, sollte sich unbedingt einmal unseren Bericht über das wundervolle Jamavar durchlesen. Der Artikel ist problemlos über die Suchleiste des Mook Blogs zu finden. Das Jamavar erhielt übrigens kurz nach unserer euphorischen Mookular-Besprechung seinen verdienten ersten Michelin-Stern. Damit haben sich mal wieder die Prophezeiungen der Mook Redaktion als richtig erwiesen. Hier nun ein Blick auf die kleine aber feine Bord-Bar des Bombay Bustle.
Wie man unschwer an den liebevoll gestalteten Türen erkennt, zieht sich das Zug-Sujet konsequent durch das gesamte Lokal. Die Fable Studios haben hier großartig recherchiert und handwerklich perfekt exekutiert. Es muss einfach wundervoll sein, wenn man bei der Ausstattung eines Restaurants so verschwenderisch auf Details achten kann. In Deutschland hat die repressive Steuerphilosophie leider dafür gesorgt, dass die ethisch geführte Individualgastronomie praktisch keine größeren Investitionen mehr in einem kaufmännisch vernünftigen Zeitrahmen recoupen kann. Die staatlich verordnete Investitionsbremse hat dabei übrigens nicht nur extrem negative Konsequenzen auf die notleidende Gastronomie, sondern erzeugt selbstverständlich auch insgesamt einen immensen volkswirtschaftlichen Schaden. Leider ist diese traurige Tatsache bisher offensichtlich noch nicht im Berliner Elfenbeinturm angekommen.
Lange bevor Foodora, UBER Eats und Deliveroo in aller Munde waren, haben indische Hausfrauen schon für ihre Männer gekocht und das Essen von Zug- und Fahrradkurieren zum Arbeitsplatz ihrer Männer transportieren lassen. Die Kuriere werden in Indien Dabbawalas genannt und lassen aus Effizienzgründen die Speisen in mehrstöckigen Metall-Henkelmännern verpacken. Die hochkomplexe Lieferkette der Dabbawalas ist besonders in Bombay verbreitet und basiert auf einer absolut einzigartigen Farb-, Buchstaben- und Ziffern-Kodierung. Die Dabbawalas sind in verschieden Kollektiven organisiert und übergeben die sogenannten Tiffins staffelartig viele Male. Durch das perfekt optimierte System schaffen sie es allerdings täglich weit über 200.000 Tiffins praktisch fehlerfrei zu übergeben und anschließend wieder korrekt an die Absender zu retournieren. Die Koordination ist dermaßen ausgeklügelt, dass mittlerweile sogar führende Logistikunternehmen die raffinierte Systematik von Mathematikern analysieren lassen. Das Bombay Bustle hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, die rustikale Hausfrauenküche der Dabbawalas-Kultur in ein moderne und gourmetesquere Form zu transkribieren. Um aber die ursprüngliche Herkunft der Gerichte zu betonen, werden im Bombay Bustle noch viele Gerichte in traditionellen Tiffin-Metallbehältern serviert. Hier sehen wir beispielsweise ein Tiffin mit einem köstlichen Pappadam-Mix mit zweierlei Chutneys.
Vor nicht allzu langer Zeit hat sich das Frankfurter Museum für Moderne Kunst mit einer großen Retrospektive dem erstaunlichen Œuvre von Sudbodh Gupta gewidmet. Seine riesigen Objet-trouvé-Installation und großformatigen Metall-Skulls bestehen größtenteils aus den aus den typischen Tiffin-Metalltornistern und haben dazu geführt, dass sich neuerdings auch viele Menschen in Deutschland mit der faszinierenden Kultur der Dabbawalas auseinandersetzen. In London hingegen ist die köstliche Tiffin-Wohlfühlküche schon seit geraumer Zeit in aller Munde und zahlreiche exzellente Casual-Konzepte bespielen dieses faszinierende kulinarische Feld. Erst kürzlich hat auch noch die prominente Fernsehköchin Asma Khan ein von der Tiffin-Kultur inspiriertes Restaurant im quirligen Kingly Court eröffnet. Wer übrigens mehr über den Sudbodh Gupta und sein interdisziplinäres Œuvre erfahren will, sollte sich unbedingt einmal unseren Mookular-Bericht über das Song Qi in Monaco durchlesen. Ihr findet den entsprechenden Artikel problemlos über die Suchleiste des Mook Blogs.
Dosas sind im Prinzip die indische Version eines teutonischen Pfannkuchens. Dosas werden auf großen gusseisernen Platten zubereitet und bestehen aus einem fermentierten Hybrid-Teig aus Urdbohnen und Reismehl. Serviert werden die wundervoll fluffigen Dosas traditionell mit Aloo Masala-Kartoffelbrei, Kokosnuss-Chutney und Sambar, einer Curry-Sauce aus Linsen und Tamarinden.
Wie aufmerksame Mook Magazin-Leser ja unlängst gelernt haben, gilt Indien schon lange nicht mehr nur als die Heimat der facettenreichsten Ethnoküche der Welt, sondern auch das Land der tausend Brote. Auch auf der Speisekarte des Bombay Bustle finden sich dementsprechend diverse Kreationen mit Brot. Besonders gut gefallen hat uns das delikate Chole Bhature. Das Gericht ist ein Klassiker der sogenannten Punjabi Cuisine und besteht traditionell aus einer soufflierten Bhature-Brot-Sphäre und einem vegetarischem Kichererbsen-Curry.
Hier sehen wir das korrespondierende Chana Masala oder auch Chole genannte Kichererbsen-Curry, das traditionell zum frittierten Bhature-Brot gereicht wird. Ein rustikaler wie köstlicher Snack. Wirklich kein Gast im Bombay Bustle sollte sich diese vegetarische Delikatesse entgehen lassen.
Die hauchdünnen Crêpes werden in Indien Hoppers oder auch Appam genannt. Interessanterweise findet man die filigrane Delikatesse selbst in London nur auf sehr wenigen Speisekarten. Appams sind speziell in Südindien, Sri Lankas und Malaysia beliebt und bestehen vornehmlich aus Kokosnussmilch, Reismehl, Wasser und Hefe. Um die typische Schüsselform zu erzeugen werden die köstlichen Hopper-Crêpes in speziellen Appam-Woks zubereitet. Oft wird am Boden der konvex gekrümmten Hopper-Bowl noch ein Spiegelei platziert. Im Bombay Bustle serviert man das Appam dagegen mit einer Schale pikant gewürztem Lamm-Curry. Es macht wirklich viel Freude, kleine Teile des Appam-Crêpe abzurupfen, um damit wie mit einem äthiopischen Injera-Fladenbrot durch das würzige Curry zu gleiten.
Alle von uns degustierten Currys sind selbst kritischen Kennern uneingeschränkt zu empfehlen. Allerdings konnten wir wieder einmal erleichtert feststellen, dass das Vindaloo Curry im Ivory Club auch weiterhin seine Pole Position für couragierte kalibrierte Curry-Gerichte erfolgreich verteidigen konnte.
Wie man unschwer erkennt, wird auch das butterzarte Kolhapuri Spit-Chicken auf dem typischen Tiffin-Geschirr serviert.
Die Mook
Redaktion verhält sich in Restaurants immer sehr diskret und zuvorkommend. Wir fallen höchstens am Ende des Essens mit einer ungewöhnlich hohen Trinkgeldzahlung auf. Unsere gezielten Fragen und die riesige Bestellung haben allerdings die Neugier des Chefkochs geweckt. Er wollte unbedingt wissen, warum zwei Personen praktisch die komplette Speisekarte hoch und runter bestellen. Kurz entschlossen verließ er seine Küche, um uns persönlich danach zu fragen. Daraus entwickelte sich ein sehr lehreiches Fachgespräch über die faszinierende Aromen- und Vital-Küche des bezaubernden Subkontinents. Im Anschluss durften wir sogar die Küche besuchen. Dort zeigte uns der nette Kollege, ein paar wirklich sehr aufschlussreiche indische Küchentechniken.
Hier ein kleiner Blick ins Reich der Köche.
Zum Schluss noch ein kleiner Tipp der Mook Redaktion. Wes Anderson ist ein so extrem detailverliebter Regisseur, dass er sogar das mit Tier-Motiven punzierte Reisegepäck aus Darjeeling Limited speziell für den Film anfertigen ließ. Fans von Wes Anderson haben neuerdings die Möglichkeit, das wundervoll verspielte Reisegepäck käuflich zu erwerben. Die handwerklich exzellenten Replikas werden von der Firma „Very troubled Child“ hergestellt und können problemlos über das Internet bestellt werden. Die Mook Group erhält für diese ernstgemeinte Kaufempfehlung übrigens keinerlei Provisionen bezahlt.