Über das kreative Kochgenie Sergio Herman muss man sicherlich nicht mehr viele Worte verlieren. Sein kürzlich geschlossenes Restaurant Oud Sluis galt unter vielen Gourmets als das beste 3-Stern-Restaurant der Welt. Der Gault Millau verlieh Sergio Herman sogar seine absolute Höchstnote: 20 von 20 möglichen Punkten. Eine Ehre, die bisher zuvor nur noch Marc Veyrat zu Teil wurde. Nun hat sich das kochende Enfant Terrible eine neue kulinarische Kathedrale gebaut und das förmlich im wahrsten Sinne des Wortes. Sein neueröffnetes Restaurant „The Jane“ befindet sich in der ehemaligen Kubatur einer säkularisierten Militär-Kapelle.
Schon am Eingang verschlägt es jedem einigermaßen künstlerisch interessierten Besucher fast den Atem. Der „Jesus Ring“ stammt doch tatsächlich von niemand geringerem als Wim Delvoye, dem aktuell wohl bekanntesten und kontrovers diskutiertesten belgischen Konzeptkünstler. Wer erinnert sich beispielsweise nicht gerne an seine faszinierende Cloaca-Installation, eine Maschine, die den kompletten menschlichen Verdauungsvorgang perfekt imitiert und am Ende tatsächlich echte Exkremente produziert? Begeisterte Fans seiner Cloaca-Maschine können übrigens die künstlich produzierte Scheiße in transparenten Vakuumbeuteln käuflich erwerben. Auch ist Wim Delvoye dafür berühmt, gerne einmal ein paar lebendige Schweine zu tätowieren. Eine Aktion, die ihm sicherlich schon zahlreiche Fans unter den radikalen PETA-Jüngern beschert hat.
Als gestalterische Exekutive konnte Sergio Herman die weltweit operierenden Piet Boon Studios aus Amsterdam verpflichten. Eine wahrhaft exzellente Entscheidung. Die pragmatisch detachierte Formensprache der Boon-Studios schmiegt sich perfekt in die sakrale Kubatur des historischen Oratoriums. Optisches Highlight bildet dabei ein riesiger, in der Apsis hängender Neon-Schädel. Die imposante Lichtinstallation stammt von dem in der Szene nicht gerade unbekannten Südafrikaner Kendell Geers. Der Bildhauer, Fotograf und Maler ist dafür bekannt, dass wirklich kaum ein Medium vor ihm sicher ist. Das Œuvre des Künstlers lässt sich grob in zwei Schaffensphasen untergliedern. In der ersten Phase setzte sich der weiße Südafrikaner mit dem Apartheidsregime seines Heimatlandes auseinander. Damals arbeitete Geers überwiegend noch mit Materialien wie Stacheldraht und zerbrochenem Glas. In seiner späteren europäischen Phase widmete sich Geers vornehmlich den Themen Terrorismus, Spiritualität und Sterblichkeit. Viele Artheads werden sich sicherlich an dieser Stelle noch an die kontroverse Diskussion über seinen monochrom besprühten menschlichen Schädel „Fuckface“ erinnern.
Im Epizentrum des Refektoriums levitiert sphärisch eine Lichtskulptur in Form eines riesigen Seeigels. Die imposante Lichtinstallation „Sea Urchin“ stammt aus dem Think-Tank der in Beirut ansässigen PSLAP Design-Studios. Die PSLAP Studios waren übrigens unter anderem auch schon für das retrospektivische Lichtkonzept der Nikkei-Hybrid-Formel Chotto Matte in London verantwortlich. Aufmerksame Mook-Magazin-Leser werden sich in diesem Kontext sicherlich sofort an die psychedelisch fluoreszierenden Blaulicht-Malereien von Houxo Que erinnern. Übrigens, wer den Chotto-Matte-Bericht noch einmal kurz auffrischen will, findet die informative Reportage problemlos über die Suchleiste des Mook Blogs.
Die großflächigen Kirchenfenster stammen vom Design Studio Job und erinnern an sakrale Bleiverglasungen. Die farbenfrohen Glasmalereien zeigen neben religiösen Motiven auch viele absurde Skurrilitäten wie beispielweise bourbonische Lilien, Chapeau-Claques, Karotten, Gasmasken, Peace-Zeichen, Smileys, Cupcakes und Skulls & Crossbones. Laut Aussage unseres engagierten Mundschenks soll die wild komponierte Glascollage mit subtilem Humor die Historie des Areals mit dem kulinarischem Rock`n Roll des „The Janes“ verschmelzen. Auf die Frage, was der Name „The Jane“ bedeutet, antwortete uns der kesse Kellner übrigens, dass es sich dabei um einen im angelsächsischen Sprachraum sehr gebräuchlichen Frauenvornamen handelt. Manches kann doch so einfach sein.
Apropos Rock`n Roll. Das „The Jane“ ist ganz sicherlich kein stiller Hort der kulinarischen Kontemplation. Wer jetzt allerdings vermutet, dass noch heute ein Benediktiner-Mönch im traditionellem Habit amüsante Passagen aus dem allseits beliebten Nekrologium repetiert, irrt auch hier. Heute erklingen aus einer ganzen Batterie bassstarker Bowers-Wilkins Boxen eher rockige Klänge. Speziell in den Abendstunden kann es durchaus recht laut zur Sache gehen.
Auch wurde die komplette Brigade des „The Jane“ von der belgischen Jeansmarke G-Star RAW in derbes Denim gehüllt. Viele der Mitarbeiter sind auch entsprechend tätowiert, tragen moderne Undercuts, zottelige Hipster-Bärte und Vintage-Brillen von Oliver Peoples. Aber wie heißt es so schön: „Don’t judge a Book by its Cover“. Selten wurden wir so herzlich und kompetent bedient wie im „The Jane“. Alle Mitarbeiter sind hoch motiviert und fernab jeder artifiziell antrainierter Haute-Cuisine-Freundlichkeit. Praktisch jeder begrüßt einen mit emohaften Händedruck und ständig hören wir sanft gehauchte Sätze wie: “Hi, I’m Björn your Waiter“. Alle Gerichte werden vom Service perfekt erklärt und selbst unsere komplexeren Rückfragen können prompt und kompetent beantwortet werden. Großes Kompliment an Sergio Herman, der es wirklich ganz fabelhaft verstanden hat, hier eine nahezu perfekte Crew zu schmieden.
Als in jeder Facette vorbildliche Gäste versuchen wir natürlich auch immer eine entsprechend respektvolle Zeche zu generieren. Aus diesem Grund glühen wir erst einmal mit einigen wunderbaren Experimental-Cocktails vor. Ein spezielles Lob geht hier an die Barkeeper (Im „The Jane“ übrigens Barmaster genannt). Selten wurde dem Mook Culinary Research Team vergleichbar kreative Cocktailkunst serviert. Hier sehen wir beispielsweise einen ganz fabelhaften Virgin-Cocktail mit einem wunderbar cremigen Apfel-Shiso-Espuma.
Besonders gut gefallen hat uns auch der geräucherte Rote-Bete-Cocktail. Erstaunlich wie gut der Rote-Bete-Saft mit dem herben Raucharoma des hölzernen Fidibus korrespondiert.
Die Grissini erreichen fast Jim-Lahey-Niveau und werden mit einem intensiven Käse-Dip kredenzt. Ein köstlicher kleiner Snack. Fixiert sind die krossen Stäbchen übrigens in einem Bett aus Linsen.
Normalerweise verzichtet das Mook Culinary Research Team auf kohlehydratreiche Brotkörbe. Das frisch gebackene Brot im „The Jane“ ist allerdings keine dröge Sättigungsbeilage, sondern vielmehr eine ganz eigenständige Delikatesse. Selbst in den USA wurden uns selten bessere Backwaren kredenzt. Trotzdem sollte man sich bei der köstlichen Ambrosia etwas zurückhalten und seine Ressourcen klug einteilen. Die Vielzahl der Gerichte addieren sich schnell zu einer üppigen Portion und wirklich niemand verlässt das „The Jane“ hungrig.
Badabäng, was für eine furiose Ouvertüre! Schon beim fulminanten Amuse-Gueule lässt der Meister ein wahres Feuerwerk der Texturen und Aromen abfackeln.
Hier sehen wir Sergio Herman’s Vision eines perfekten Steak-Tatars. Das roh marinierte Rinderhack wird mit pochiertem Wachtelei und einer Vielzahl von korrespondierenden Pickels serviert. Gerichte mit einem solch komplexen Teller-Layout sind heutzutage oft reine Effekthascherei – nicht so bei Sergio Herman. Jede einzelne Komponente erfüllt tatsächlich einen Zweck und emulgiert letztendlich auf den Rezeptoren zu einem grandiosen Gesamtkunstwerk. Das gesamte Mook Culinary Research Team ist tief beeindruckt.
Wie wir leider immer wieder schmerzlich erfahren müssen, bevorzugt der konservativ sozialisierte Mitteleuropäer seine Meeresfrüchte lieber „schön durch“. Das interessiert Sergio Herman allerdings offensichtlich herzlich wenig. Alle servierten Fische und Meeresfrüchte sind im „The Jane“ entweder komplett roh oder nur leicht erwärmt. Die fangfrischen Gambero Rosso werden beispielsweise komplett glasig serviert. Als Beilage serviert der Meister ein ganzes Potpourri an maritimen Aromaten.
Die äußerst schmackhaften Gambero Rosso werden in zwei Gängen serviert. Zuerst erhält der staunende Kunde den glasig schimmernden Korpus. Im zweiten Gang darf der Gast sich dann an den allseits beliebten Shrimps-Köpfen verlustieren.
Glibberige Innereien aus einen feuerroten Chitinpanzer zu zuzeln ist wahrlich ein großer Spaß für Jung und Alt.
Als nächstes serviert uns der Meister eine Paella mit Muscheln, Tintenfisch, Artischocke und Pimento del Piquillo. Sergio Herman beweist auch bei seiner Fischpfanne, dass er wahrlich ein Virtuose des sublimen Aromenspiels ist. Selten durften wir für Euch ein ähnlich smart komponiertes Meeresfrüchtegericht degustieren.
Wie man unschwer an der Kolorierung erkennt, wurde auch die Scholle nur für einige Sekundenbruchteile über die heiße Plancha gezogen. Begleitet wird der fast noch rohe Fisch von einer regelrechten Flut exotischer Aromen. Als Textur spendendes Element serviert Herman einen Taler mit einem knackigen Kokosnuss-Erdnuss-Granulat. Müßig zu erwähnen, dass auch dieses Gericht wieder die Höchstnote Mookstyle von uns erhält.
Für geradezu lächerliche 25,- Euro extra kann man sein Menü noch mit einer Zealand Oyster mit Foie Gras und Trüffel pimpen. Eine Option, die wir natürlich als vorbildliche Gäste sofort nutzen.
Hier sehen wir Sergio Herman’s Vision einer Aubergine Parmigiana.
Als kleines kulinarisches Intermezzo serviert der Meister ein Canapé mit Cabbage, Blutwurstbrät und floralen Akkorden. Der kleine Chip sieht übrigens nicht nur verdammt lecker aus. Überhaupt ist die besondere Stärke des gesamten Menüs, dass es überhaupt keine Schwächen gibt. Wirklich jeder einzelne Gang glänzt mit grandiosen Produkten und solider Handwerklichkeit.
Die Garzeit der Hähnchen ist offensichtlich minutiös kalkuliert. Der Kern der Geflügelbrust ist so unglaublich sukkulent, dass es fast schon an der Grenze zur semitransparenten Glasigkeit streift. Das Geflügel ist dadurch nicht nur extrem saftig, sondern auch verblüffend zart. In Deutschland würde eine solche avantgardistische Garstufe allerdings hundertprozentig zu großen Irritationen führen. Serviert wird der köstliche Happen übrigens mit einer ganz fabelhaften Sauce Bernaise und einer mit Geflügelinnereien gefüllten Frühlingsrolle.
Der Kellner deckt schweres Gerät ein. Uns schwant böses.
Man beachte bitte das auffällige Emblem auf der Klinge des Fleischmessers. Die vier gekreuzten „J“-Majuskeln bilden dabei das einprägsame Logo des „The Jane“. Ein sehr kraftvolles und kommerziell kompatibles Brand-Logo. Ein kluger Schachzug, um gegebenenfalls zukünftig den Markt mit Merchandising-Produkten zu fluten. In Zeiten, in den Gäste immer kostensensitiver werden und hochwertige Speisegastronomie von der immensen Abgaben- und Steuerlast des Staates fast erdrosselt werden, müssen kluge Gastronomen sich immer neue und kreative Wege ausdenken, um zu überleben. Einfach nur fabelhaft Kochen reicht leider nur noch in Metropolen wie London, New York und Tokyo. Auch kann ja nicht jeder Wirt auch noch Fernsehkoch werden. Ein perfektes Beispiel für geglückte Vermarktung ist übrigens die Sansibar auf Sylt. Herr Seckler, der legendäre Wirt der Sansibar, hat es geradezu bravourös verstanden, seine Marke zu skalieren und sich mit seinen Merchandising-Produkten ein zweites finanzielles Standbein zu schaffen.
Als Hauptspeise serviert der Meister Venison mit geräuchertem Wacholder, Wurzelgemüse und Haselnüssen. Dafür waren also die Messer gedacht.
Als Epilog des fulminanten Menüs serviert das „The Jane“ eine opulente Käseselektion. Die variantenreiche Auswahl stammt übrigens vom legendären belgischen Affineur Michel van Tricht.
Als süßes Finale werden im „The Jane“ noch kleine Petits Fours gereicht.
Where all the Magic happens. Zum Schluss noch ein kurzer Blick in die verglaste Showküche des „The Janes“. Bei der Küchentechnik vertraut Sergio Herman übrigens auf die Produkte aus dem Hause Maes Inox.
FIN