Schon seit vielen Jahren gehört das wundervolle Art-Deco-Kleinod Bob Bob Ricard am Rubikon zwischen den beiden Londoner Szenevierteln Mayfair und Soho zum natürlichen Habitat der Mook-Redaktion. Nun hat Leonid Shutov, der Gründer des Bob Bob Ricard und legendäre Erfinder des „Press for Champagne Button“, exakt auf der gegenüberliegenden Straßenseite auch noch das ehemalige Folies übernommen und liebevoll umgebaut. Sein neues Konzept Bébé Bob fokussiert sich dabei auf die großen Leidenschaften seines hedonistisch veranlagten Eigentümers: Kaviar, Wodka, Champagner und Rotisserie Chicken. Als wir nun hörten, dass das monothematische Broiler-Konzept endlich seine Pforten geöffnet hat, war uns sofort klar, dass wir das neue Brainchild von Leonid Shutov sofort für Euch unter das gestrenge Mookular nehmen müssen.
Leonid Shutov ist nicht nur ein charmanter Gastgeber und visionärer Gastro-Entrepreneur, sondern auch ein Ästhet Extraordinaire, der das Interieur seiner Locations immer selbst gestaltet. Nach dem Bob Bob Ricard und dem wunderbaren Bob Cité in der Londoner City ist dem agilen Tausendsassa mit dem Bébé Bob erneut ein architektonischer Volltreffer gelungen. Der eklektische Retro-Charme der 70er Jahre ist dabei nicht nur profane Kulisse, sondern vermittelt durch eine angenehme Akustik, ein sehr geschicktes Farbarrangement und eine ausgeklügelte Lichtarchitektur ein unglaublich behagliches Raumgefühl.
Leonid Shutov hat die nostalgische Golden-Age-Ästhetik nicht nur verstanden, sondern auch brillant in das London des 21. Jahrhunderts transkribiert. Wohin das Auge auch schweift, überall finden sich edle Materialien, smart eingesetzte Farbakzente, geometrische Bodenmosaike, extravagante 70er-Retro-Stühle, raffinierte Blumenarrangements und runde, mit Leder überzogene Sitznischen. Das neu eröffnete Bébé Bob ist wahrlich ein exzeptionelles Refugium der kulinarischen Kontemplation.
Die edlen Marmortische sind mit exklusivem Besteck und kostbaren Menagen eingedeckt und werden standesgemäß von kleinen Varieté-Leuchten in ein warmes Licht getaucht. Darüber hinaus ist uns noch ein kleines Detail besonders positiv aufgefallen. Die trapezförmigen Platzdecken greifen perfekt die runde Form des Tisches auf, funktionieren allerdings auch wunderbar für eckige Tische, wenn man sie um 180 Grad dreht.
An den Wänden hängen diverse informelle Gemälde, die sehr an Jean Dubuffet, Joan Miró und Alexander Calder erinnern. An der Stirnseite des imposanten Refektoriums hängt beispielsweise ein Gemälde, das glatt als eine Wolfgang Beltracchi-„Hommage“ an Alexander Calder durchgehen könnte.
Das Bébé Bob ist ein monothematisches Brathähnchen-Konzept. Dementsprechend hat man bei der Hauptspeise lediglich die Wahl zwischen einem Rotisserie-Chicken oder einem Rotisserie-Chicken! Auf der wunderschön gestalteten Speisekarte prangt daher stolz der Slogan: „ANY MAIN COURSE THE CUSTOMER WANTS AS LONG AS IT IS CHICKEN OR CHICKEN“.
Die Vorspeisenkarte liest sich allerdings wie ein grandioses Best-of-Sammelsurium nostalgischer Continental-Cuisine-Klassiker. Es gibt beispielsweise Œuf Mayonnaise, VSOP Shrimp Cocktail und eine schöne Kaviar-Selektion. Alles wundervolle Gerichte, die man in Deutschland praktisch auf keiner Speisekarte mehr findet, außer natürlich in den Etablissements der Mook Group.
Œuf Mayonnaise sind ein absoluter Klassiker der Comfort-Food-Cuisine und gehören definitiv zu unseren absoluten Lieblingsspeisen. Deshalb wundern wir uns immer wieder, dass dieser wunderbare Crowdpleaser in Deutschland auf so gut wie keiner Speisekarte zu finden ist. Das Bébé Bob serviert das Œuf Mayonnaise übrigens mit Kapern und großen, saftigen Sardellen. Eine grandiose Idee, denn die pikanten Sardellen verleihen dem Gericht natürlich noch einen massiven Umami-Kick. Leider wissen wir aus eigener Erfahrung, dass die Deutschen im Gegensatz zu uns Sardellen geradezu leidenschaftlich hassen. Dementsprechend können wir die Idee so definitiv nicht für uns unsere Etablissements adaptieren.
Als nächstes degustieren wir für Euch einen 24 Monate gereiften Paleta de Bellota Iberico Schinken mit Cornichons und kleinen, pikanten Perlzwiebeln. Ein kleines Tapas-Amuse-Gueule, das Appetit auf mehr macht.
Der Shrimps Cocktail ist ein weiterer Klassiker der Feel-Good-Nostalgie-Cuisine. Die Präsentation im Bébé Bob ist natürlich bei weitem nicht so spektakulär wie bei uns im MON AMIE MAXI, die Garnelen sind aber exzellent und von der Qualität und Größe durchaus vergleichbar mit unseren Shrimps. Allerdings haben wir trotzdem einen kleinen Kritikpunkt: Die Shrimps sind nur extrem spärlich mit der eigentlich köstlichen VSOP-Cocktailsauce benetzt. Hier hätten wir uns durchaus einen Klacks mehr Sauce gewünscht.
Als nächstes wird uns ein gebackener Saint-Marcellin-Käse mit Trüffelhonig serviert. Das schmelzige Guilty-Pleasure ist zwar keine elaborierte Gourmet-Kreation, schmeckt aber nach einem anstrengenden Galerie-Hopping-Tag befriedigend lecker.
Wie aufmerksame Mook-Magazin-Leser ja bereits wissen, lieben wir Kaviar. Auch macht die unprätentiöse Präsentation und die exzellente Produktqualität im Bébé Bob wirklich Spaß. Trotzdem stimmte uns der Anblick der kleinen Kaviar-Selektion auch ein wenig wehmütig, weil wir wieder einmal schmerzlich daran erinnert wurden, dass wir mit dem KRAZY KRAKEN schon einmal versucht haben, unserer geliebten Heimatstadt Frankfurt ein international relevantes Kaviar- und Seafood-Restaurant zu schenken. Leider hatte die Stadt Frankfurt damals andere Pläne und machte uns einen dicken Strich durch die Rechnung. Interessierte Leser, die mehr darüber erfahren möchten, warum wir das KRAZY KRAKEN schon kurz nach der erfolgreichen Eröffnung wieder schließen mussten und warum die Schließung nicht nur für ein paar leidenschaftliche Meeresfrüchteliebhaber eine schreckliche Tragödie war, sondern auch für die gesamte Stadt Frankfurt, sollten nicht zögern, nach der vollständigen Lektüre dieses Artikels, den hier angehängten Link zu aktivieren.
Glücklicherweise können wir uns an das Zitat des US-amerikanischen Autors und Sozialwissenschaftlers Irving Kristol erinnern, das wie folgt lautet: „One can be unhappy before eating caviar, even after, but at least not during“. Und tatsächlich hilft eine opulente Nocke Kaviar auf einem buttrigen Blini, um über den Schmerz hinwegzukommen.
Abgesehen von der Tatsache, dass man sich im Bébé Bob entsprechend respektvoll kleiden sollte, gibt es dort nur drei Regeln: keine Kinder, keine Gruppen von mehr als vier Personen, und man kann als Hauptgericht alles essen, solange es ein Rotisserie-Chicken ist. Allerdings kann man bei der Hauptattraktion zwischen einem Freilandhuhn aus der Vendée oder einem milchgefütterten Freilandhuhn vom legendären Premiumzüchter Arnaud Tauzin wählen. Da es für die Mook-Redaktion jedoch bekanntlich kein „oder“ gibt, sondern nur ein „und“, entschließen wir uns einfach, beide Hähnchen für Euch zu degustieren. Die Hähnchen schmecken in Nuancen unterschiedlich, sind aber beide so unwiderstehlich köstlich, dass wir Euch keine finale Empfehlung geben wollen.
Die Familie von Arnaud Tauzin züchtet schon seit dem 19. Jahrhundert Geflügel in den Hügeln und im Prärieland von St. Sever im Südwesten von Les Landes und gilt unter vielen Kennern als einer der besten Geflügelzüchter Frankreichs.
Als Sättigungsbeilage entscheiden wir uns für die in siedendem Hühnerfett gesottenen und mit Rosmarin und Knoblauch aromatisierten „Roast Potatoes“. Die Kartoffeln sehen auf den ersten Blick eher blass und profan aus, sind aber angenehm luftig souffliert, extrem knusprig und überraschend geschmacksintensiv. Wir können Euch die kleinen Biester deshalb uneingeschränkt empfehlen.
THIS IS THE END (Jim Morrison)