John Rawls, der altruistische Harvard-Professor, sagenumwitterte Philosoph und visionäre Vordenker der modernen Gerechtigkeitstheorie, hat in seinem literarischen Opus Magnum „A Theory of Justice“ das berühmte Gedankenexperiment des Schleiers des Nichtwissens entwickelt. Es besagt, dass jeder politische Entscheidungsträger, der über Gesetze und Regeln entscheidet, sich vorher vorstellen sollte, nicht zu wissen, in welcher sozialen Rolle, mit welchen Fähigkeiten oder in welcher Lebenslage er sich nach der Entscheidung wiederfinden wird.
Wer sich ernsthaft auf dieses moralphilosophische Gedankenexperiment einlässt, muss sich also fragen, in welchem Leben er morgen aufwachen würde und was es dann bedeutet, mit den Folgen der eigenen politischen Entscheidungen zu leben. Vielleicht ist man nach dem Fallen des Schleiers ein hart arbeitender Wirt, dem das Wasser bis zum Hals steht, ein privilegierter und finanziell perfekt abgesicherter Politiker mit eigenem Dienstwagen und Chauffeur oder ein gehbehinderter Rentner, der sich aus Angst nicht mehr in die U-Bahn traut.
Durch die radikale Ungewissheit über die eigene zukünftige Position wird man gezwungen, sich vollständig in die Lage anderer hineinzuversetzen. Nur so entsteht eine Form absoluter Empathie, die jenseits des Eigeninteresses zu gerechteren Entscheidungen führen kann.
Überträgt man dieses abstrakte Gedankenspiel konkret auf die aktuelle Verkehrspolitik der Stadt Frankfurt, fällt das Urteil eindeutig aus. Kein rational denkender Mensch würde aus einer unverorteten Perspektive heraus die systematische Vernichtung von Parkplätzen und die kostspielige Errichtung einer maximal schikanösen Verkehrsführung gutheißen, wenn er ernsthaft damit rechnen müsste, als Einzelhändler, Handwerker, Gastronom, Feuerwehrmann, UPS-Fahrer oder als mobilitätseingeschränkter Mensch wiedergeboren zu werden. Denn in diesem Fall müsste er ja selbst unter den katastrophalen Folgen der vollkommen fehlgeleiteten Anti-Autofahrer-Politik leiden.
Damit dürfte klar sein, dass selbst die ideologisch verbrämtesten Befürworter der gastronomiefeindlichen, pendlerfeindlichen, klimafeindlichen, rettungswagenfeindlichen, einzelhandelsfeindlichen und behindertenfeindlichen Anti-Autofahrer-Agenda unmöglich bestreiten können, dass eine Verkehrspolitik, die sich ausschließlich an den ideologisch motivierten Wünschen einer urbanen, akademisch und elitär geprägten Minderheit orientiert, niemals das Ergebnis eines moralisch integren und gerechtigkeitsorientierten Entscheidungsprozesses sein kann.