Unsere emsigen EU Abgeordneten versuchen unermüdlich, uns vor schrecklichen Dingen wie natürlicher Artenvielfalt, handwerklich erzeugtem Olivenöl und krummen Gurken zu beschützen. Im Rahmen ihrer mühseligen Arbeit ist ihnen nun ihr bisher größter Coup geglückt. Seit Anfang 2015 ist die neue Allergenverordnung in Kraft getreten. Die Verordnung soll den Verbraucher vor den bösen Folgen allergischer Reaktionen beschützen. Ein wahrer Meilenstein für die allgemeine Volksgesundheit – könnte man als Laie zumindest meinen. Was sich nämlich im ersten Moment wie eine gute Sache anhört, ist in Wahrheit ein geradezu schamloser Euphemismus mit schrecklichen Folgen. Denn was uns die Eurokraten hier als Verbraucherschutzmaßnahme verkaufen wollten, ist in Wirklichkeit das Ergebnis einer ganz „hervorragenden“ Lobbyarbeit. Die klugen Spindoktoren der Großkonzerne haben lange für diese dramatisch „verbesserte“ Kennzeichnungspflicht gekämpft. Praktisch alle allergenrelevanten Zutaten wie Sulfite, Gluten, Lupinen und Glucosinolate müssen nun künftig ausgewiesen werden. Natürlich alles nur zum Schutz der Verbraucher. Man muss sich aber auch einmal die grauenhaften Konsequenzen vor Augen halten. Wie sollen ambitionierte Wirte zukünftig kreativ, regional und wirtschaftlich sinnvoll arbeiten? Keine inhabergeführte Individualgastronomie kann es sich leisten, einen Ökotrophologen zu beschäftigen, um täglich Allergene zu klassifizieren und aufwendig zu dokumentieren. Seit der Einführung der neuen Zeiterfassungspflicht ticken in der Gastronomie auch die kostbaren Industrieminuten. Wirte haben seitdem ohnehin keinerlei Zeit mehr für nichts. Eine nicht präzise gekennzeichnet Plat du Jour ist aber ab sofort ein eklatanter Gesetzesverstoß. Marktorientierte Wirte werden damit nicht nur als Kriminelle stigmatisiert, sondern müssen zusätzlich auch noch mit drakonischen Strafen rechnen. Die Lebensmittelindustrie kann hingegen die geforderten gesetzeskonformen Gerichte und Zutaten problemlos liefern, natürlich inklusive der perfekt korrespondierenden Legenden. Auch große Fast-Food-Konzerne haben mit der neuen Kennzeichnungspflicht sicherlich keinerlei Probleme. Was machen aber leidenschaftliche Gastronomen, die marktfrisch und saisonal kochen möchten? Interessanterweise meide ich schon immer Restaurants, die sicherlich keinerlei Probleme mit der neuen Allergenverordnung haben werden. Die Zahl der allergenindizierten Erkrankungen ist unstrittig in den letzten Jahren gestiegen. Ich glaube allerdings fest, dass dies speziell auf die vermehrte Verwendung von industriell gefertigten Convenience-Produkten zurückzuführen ist. Jetzt profitieren ausgerechnet die Verursacher von den Folgen. Im Volksmund nennt man so etwas den Teufel mit dem Belzebub austreiben. Ein geradezu grotesker Vorgang. Auch weiß ich natürlich, dass die neue Verordnung für einen echten Allergiker eine Erleichterung darstellt, aber das Opfer, das dafür gebracht werden muss, ist einfach viel zu groß. Das Leben ist mit der neuen Gesetzgebung jetzt vielleicht sicherer geworden, ganz sicherlich aber nicht gesünder. Eines ist aber dafür ganz sicher, das Leben ist seit der Kennzeichnungspflicht für mich nicht lebenswerter geworden. Ich möchte auch zukünftig riskieren, handwerklich gefertigte Saucen und Dressings zu essen. Ich will weiterhin todesmutig saisonale Spezialitäten genießen und mich an individuell gefertigten Gerichten erfreuen. Ich will selber über mein Leben bestimmen und nicht von der Politik gezwungen werden, „sicheres“ Industrie-Futter zu essen. Ich bin ein mündiger Bürger und brauche keine Agrarchemiekonzerne und Eurokraten, die mich vor bäuerlich erzeugtem Olivenöl und handwerklich hergestellter Mayonnaise beschützen. Auch brauchte die ohnehin schon schwer gebeutelte Hospitality-Industrie in Deutschland ganz sicherlich nicht noch mehr ausufernde Bürokratie. Ich brauche keinen Schutz vor krummen Gurken, Allergen und natürlicher Artenvielfalt, sondern Schutz vor der schier grenzenlosen Regulierungswut der Lobbyisten und ihren willigen EU Schergen. Leider glaube ich, dass alles sogar noch viel schlimmer wird. Die kontroverse Saatgutverordnung wurde zwar glücklicherweise vor den Wahlen auf Eis gelegt. Die smarten Spindoktoren haben das Thema aber noch lange nicht vergessen und werden weiter solange flöten, bis auch der letzte Eurokrat verstanden hat, was für die allgemeine Volksgesundheit zu tun ist. Sobald Politiker also wieder anfangen, in Zunge zu sprechen und Euphemismen wie Harmonisierung und Schutz in den Mund nehmen, sollten bei uns allen die Alarmglocken läuten. Denn eines werden unsere emsigen Eurokraten sicherlich nicht so schnell tun: uns vor legalem Pressformschinken, industriellem Analogkäse und grausamer Massentierhaltung zu beschützen.
KLENER NACHTRAG ZUR NEUE ALLERGENVERORDNUNG
Nun ist die ist die Allergenverordnung seit einigen Monaten in Kraft getreten. Die Zeit ist gekommen um ein kleines Resümee zu ziehen. Seit Jahresbeginn haben wir in unseren 5 Filialen viele tausend Menschen bewirten dürfen, trotzdem hat bisher hat noch kein einziger Gast nach unserer mühselig erstellten Allergenen-Kartei verlangt. Der Aufwand zur Allergenerfassung ist ein niemals endender Kraftakt für den in der Praxis überhaupt kein Bedarf besteht. Das ganz ist also nicht nur perfider Plan um den Verkauf von Convenience-Produkten anzukurbeln, sondern auch ein völlig überflüssiger Bürokratieaufwand der nur der Industrie nutzt.